Heute brachte meine Frau frisches Gebäck vom Bäcker nach Hause, und als sie das Sackerl aufgemacht und zwei Mohnflesserl und zwei Kaisersemmeln auf den Teller gelegt hat, sagte sie über die Semmeln:
Des san Handsemmeln, drum schaun die so verwordakelt aus.
Das ist Wiener Dialekt (meine Frau ist gebürtige Wienerin), die standarddeutsche Übersetzung lautet:
Das sind händisch hergestellte Semmeln, daher sehen sie so verformt/unförmig/missgestaltet aus.
Ich bin in der Steiermark aufgewachsen, und auch dort ist »verwordakelt« ein häufig verwendetes Wort der Alltagssprache. Etwas wird als verwordakelt bezeichnet, wenn es zwar auffällig unförmig, aber dennoch liebenswert und sympatisch ist. Laut ostarrichi.org kennen 87% aller Besucher der Seite dieses Wort. Es steht in wiktionary und ist dort (völlig zurecht) als "mundartlich" gekennzeichnet, weswegen es auch in den fast allen Wörterbüchern des Standarddeutschen fehlt. (Leider. Ich liebe dieses Wort, denn ich kenne sonst kein anderes Wort, das ein äußerliches Gestaltdefizit mit Liebenswürdigkeit vereint.) In meiner Ausgabe des ÖWB (österreichisches Wörterbuch, das amtliche Regelwerk für österreichisches Deutsch) findet man das Wort auf Seite 630 (39. Auflage von 2001), ebenfalls mit dem Vermerk "mda." (=mundartlich), in zwei alternativen Schreibweisen: »verwordagelt« und »verwordakel« (in weiten Teilen Österreichs gibt es kaum einen Unterschied in der Aussprache von »g« und »k« (ebenso d/t und b/p)). Im DWDS gibt es gerade mal 3 Einträge im Korpus, was ebenfalls klar belegt, dass es kein standarddeutsches Wort ist, sondern ein Dialektwort.
Mich interessiert aber die Etymologie dieses Worts. Was ist sein Ursprung? Gerade bei Dialektwörtern ist das ofmals extrem schwer herauszufinden.
In dem Wiktionary-Eintrag steht:
Herkunft:
möglicherweise von mittelhochdeutsch verwohrt (= verwirkt) und teigeln
Sprachnudel.de zitiert diesen Satz wortwörtlich aus Wiktionary (Oder ist es umgekehrt? Jedenfalls steht auf beiden Seiten exakt dasselbe.) Andere Hinweise auf die Herkunft habe ich nicht gefunden. Wie erwartet schweigt sich darüber auch mein Duden-Herkunftswörterbuch aus.
Mit dem Hinweis »mittelhochdeutsch verwohrt (= verwirkt)« kann ich ja noch etwas anfangen, aber das Wort »teigeln« (ich vermute, dass es sich dabei um ein Verb handelt) kenne ich nicht und ich kann auch nirgendwo Hinweise auf seine Existenz geschweige denn auf seine Bedeutung finden. Ist es mit »deichseln« (etwas durch Geschick zustande bringen) verwandt? Die Etymologie von »deichseln« auf DWDS spricht eher dagegen. Eine Verwandtschaft mit dem Substantiv »Teig« schließe ich auch eher aus.